„Reform“ und „Schrift“, also die Bibel, sind die beiden Begriffe für Franziskus, wenn es darum geht, von der evangelischen Tradition zu lernen. Das sagte er in einem Interview für Jesuitenzeitschriften, das heute im Vorfeld der Reise nach Lund veröffentlicht wurde. Luther habe die Kirche reformieren wollen. Aus verschiedenen Gründen sei daraus eine Spaltung geworden und nicht ein „Prozess“ der Reform. Dabei betont Franziskus, dass sich die Kirche immer reformieren müsse. Etwas ernüchternd klingen die Worte des Papstes, wenn er über die theologische Diskussion in der Ökumene spricht. Nach der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, die 1999 von Katholiken und Lutheranern unterzeichnet wurde, werde es schwierig mit weiteren Fortschritten in der Ökumene, ist er überzeugt. Dennoch müsse der theologische Diskurs weitergehen, so Franziskus. Sein ökumenisches Credo lautet: „Reden, beten und gemeinsam arbeiten: Das ist der Weg, den wir gehen müssen.“ Mit Blick auf die ökumenische Begegnung in Lund hofft Franziskus, dass sie eine weitere Annäherung der beteiligten Kirchen bringt. Welche Akzente er dabei setzen will, verrät er nicht. So bleibt die Spannung, die der vatikanische Ökumeneminister Kardinal Kurt Koch in dieser Woche mit dem Hinweis aufgebaut hat, dass es durchaus eine Überraschung geben könne am Montag in Lund. Dann werden katholische Kirche und Lutherischer Weltbund gemeinsam das Gedenken zum 500-Jahr-Jubiläum der Reformation eröffnen.
Frage des Abendmahls beschäftigt Papst
Ausführlich hat Franziskus Ende September mit den Chefredakteuren der beiden Jesuitenzeitschriften Civiltà Cattolica, Antonio Spadaro, und Signum, Ulf Jonsson, über die bevorstehende Reise nach Schweden gesprochen. Dabei ging es neben Fragen zur Ökumene und der religiösen Situation in Schweden auch um Terrorismus, die Situation der Christen im Nahen Osten sowie die „müden“ und die „frischen“ katholischen Ortskirchen rund um den Globus. Franziskus würdigt in dem Gespräch Luthers Beitrag für die Verbreitung der Heiligen Schrift. Er habe einen „großen Schritt getan, um das Wort Gottes in die Hände des Volkes zu geben“. Das dürfte einem Papst, der zutiefst von der Theologie des Volkes, der argentinischen Variante der Befreiungstheologie, geprägt ist, nicht unsympatisch sein. Luther, so Franziskus, habe eine Reform gewollt in einem für die Kirche schwierigen Moment. „Dann ist aber diese Tat – auch aufgrund der politischen Situation, denken wir an das Prinzip des cuius regio eius religio – zu einem ‚Status‘ der Trennung geworden und nicht ein ‚Prozess‘ der Reform der ganzen Kirche, der für diese fundamental ist, weil die Kirche eine sich immer reformierende ist.“
Sehr persönlich spricht Franziskus über seine Kontakte und Erfahrungen mit Protestanten. Erstmals nahm er im Alter von 17 Jahren an einem evangelischen Gottesdienst teil bei der Trauung eines Arbeitskollegen aus dem Chemielabor, in dem er eine Ausbildung gemacht hatte. Später in seiner Zeit als Professor für Spiritualität an der Theologischen Fakultät San Miguel in Buenos Aires lud er sein Pendant in der nahen lutherischen Fakultät zu gemeinsamen Vorlesungen ein. Franziskus erwähnt schließlich auch seinen Besuch in der lutherischen Christuskirche in Rom im November 2015. Er erinnere sich an die Fragen der Gemeindemitglieder. So habe ihn unter anderem die Frage zum gemeinsamen Abendmahl sehr berührt. „Eine gute und tiefe Frage“, so Franziskus. Interessant, dass er gerade dieses Thema eigens erwähnt – nicht auf Nachfrage der beiden Interviewer, sondern aus freien Stücken.
Franziskus hält sich in dem Gespräch nicht lange mit theologischen Fragen auf. Aus seiner Sicht ist heute die Zeit der Ökumene des Gebets und der Taten. Hier sieht er vor allem im Sozial- und im Bildungsbereich Möglichkeiten, gemeinsam voranzugehen. Hier wäre es interessant zu wissen, was er konkret im Bildungsbereich meint. Stellt er sich gemeinsame Schulen und Universitäten vor? Scharf verurteilt er einmal mehr Proselytismus und erinnert an das Schicksal der Christen im Nahen Osten.
Der Papst und die Bischöfin
Ganz selbstverständlich spricht er über die Primas-Erzbischöfin von Schweden, Antje Jackelén, und ihren Mann, denen er im Vatikan begegnet ist. Jackelén habe bei ihrem offiziellen Besuch im Vatikan im Mai 2015 eine „großartige Rede“ gehalten. Diese Worte sind umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass unter Papst Johannes Paul II. evangelische Bischöfinnen im Vatikan nicht empfangen wurden. Unter Benedikt XVI. gab es ein erstes Umdenken. Er empfing auch evangelische Bischöfinnen; allerdings durften keine offiziellen Fotos gemacht werden. Unter Franziskus gibt es jetzt auch offizielle Fotos. Allerdings verzichtete die Tageszeitung L’Osservatore Romano in ihrer Berichterstattung über die Begegnung des Papstes mit Jackelén im Mai 2015 auf ein Foto und auch im offiziellen Online-Fotoarchiv des Vatikans findet man die Bilder nicht. Da scheint der Papst einmal mehr weiter zu sein als sein Apparat.
Der letzte Satz des katholischen Kirchenoberhaupts im aktuellen Interview dürfte daher sowohl für die Ökumene als auch für die eigene Kirche gelten: „Wir dürfen uns nicht in strengen Perspektiven einschließen, denn dann besteht keine Möglichkeit für Reformen.“ Und die will Franziskus haben. Er erinnert in dem Gespräch an der Stelle, an der er über Luthers Reformanliegen spricht, an die Diskussionen der Kardinäle vor dem Konklave, in dem er im März 2013 zum Papst gewählt wurde, und sagt: „Mir kommen jetzt die Generalkongregationen in den Sinn vor dem Konklave und wie stark die Frage nach Reformen war in unseren Diskussionen“. Sieht Franziskus die katholische Kirche heute in einer ähnlich „schwierigen Situation“ wie zu Zeiten Luthers?